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1.6 Komorbiditäten

Eine Lese-Rechtschreibstörung hat eine starke psychologische Komponente, die es zu berücksichtigen gilt. Betroffene Kinder leiden oft bzw. entwickeln zusätzliche psychische Auffälligkeiten. Der Fachbegriff Komorbidität bezeichnet eine oder mehrere Störungen oder Erkrankungen, die zu einer Grunderkrankung bzw. Grundstörung hinzukommen. Dies ist bei psychischen Auffälligkeiten häufig der Fall und muss von Lehrpersonen bei der Arbeit mit Betroffenen einbezogen werden.

Auch wenn es sich bei der Lese-Rechtschreibstörung nicht direkt um eine Erkrankung handelt, sondern um eine Lernstörung, findet sich dieser Begriff auch in diesem Kontext.

Dabei muss auf Verhaltensstörungen (Hyperaktivität, Aufmerksamkeitsstörung) und auf introversive Störungen (mangelndes Selbstwertgefühl, Ängste, Depressionen) geachtet werden. Es ist für Betreuungspersonen wichtig zu wissen, ob Betroffene unter Zusatzproblemen leiden und wie sich diese auswirken können.

Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätsstörung

Hyperkinetische Störungen sind durch ein durchgehendes Muster von Unaufmerksamkeit, Überaktivität und Impulsivität gekennzeichnet, das in einem für den Entwicklungsstand des Betroffenen sehr starken Ausmaß geschieht.

Hyperkinetische Kinder sind oft achtlos und impulsiv, neigen zu Unfällen und verletzen oft aus Unachtsamkeit Regeln. Ihre Beziehung zu Erwachsenen ist oft schwierig. Bei anderen Kindern sind sie unbeliebt und können isoliert sein, wobei spezifische Verzögerungen der motorischen und sprachlichen Entwicklung überproportional oft vorkommen. Oft liegt auch ein vermindertes Selbstwertgefühl vor. ICD-11 6A05 (World Health Organization, 2022)

Angststörung

Es können spezifische Ängste vor dem Schulbesuch oder vor Prüfungen auftreten, aber auch eine generalisierte Angststörung. Diese definiert sich als eine diffuse Angst mit Anspannung, Besorgnis und Befürchtungen über alltägliche Ereignisse und Probleme über einen Zeitraum von mindestens sechs Monaten, begleitet von weiteren psychischen und körperlichen Symptomen. ICD-11 6B0 (World Health Organization, 2022)

Depression

Diese Gruppe enthält Störungen, deren Hauptsymptome in einer Veränderung der Stimmung entweder zur Depression – mit oder ohne begleitende Angst – oder zur gehobenen Stimmung bestehen. Dieser Stimmungswechsel wird meist von einer Veränderung des allgemeinen Aktivitätsniveaus begleitet. Oft steht das Problem mit belastenden Ereignissen oder Situationen in Familie und/oder Schule in Zusammenhang. ICD-11 6A7 (World Health Organization, 2022)

Rechenstörung / Dyskalkulie

Diese Störung besteht in einer umschriebenen Beeinträchtigung von Rechenfertigkeiten, die nicht allein durch eine allgemeine Intelligenzminderung oder eine unangemessene Beschulung erklärbar ist. Das Defizit betrifft vor allem die Beherrschung grundlegender Rechenfertigkeiten, wie Addition, Subtraktion, Multiplikation und Division sowie Schwierigkeiten im Zahlenraum. ICD-11 6A03.2 (World Health Organization, 2022)

Auditive Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörungen

Expressive und rezeptive Sprachstörung

Es handelt sich um Störungen, bei denen die normalen Muster des Spracherwerbs von frühen Entwicklungsstadien an beeinträchtigt sind. Die Störungen können nicht direkt neurologischen Störungen oder Veränderungen des Sprachablaufs, sensorischen Beeinträchtigungen, Intelligenzminderung oder Umweltfaktoren zugeordnet werden. Umschriebene Entwicklungsstörungen des Sprechens und der Sprache ziehen oft sekundäre Folgen nach sich, wie Schwierigkeiten beim Lesen und Rechtschreiben. ICD-11 6A01.20 (World Health Organization, 2022)

Autismusspektrum, Asperger

In der ICD-11 (2022) wird nicht mehr zwischen Autismus-Subtypen unterschieden und damit auch die Diagnose Asperger-Syndrom aufgegeben. Stattdessen werden alle Erscheinungsformen des Autismus zur Autismus-Spektrum-Störung zusammengefasst. Die Betroffenen zeigen charakteristische Besonderheiten: Probleme im Bereich der sozialen Interaktion – Menschen mit ASS haben Schwierigkeiten, sich in Vorstellungen, Gedanken, Gefühle, Pläne, Strategien oder Intentionen anderer Menschen einzufühlen. Diese Probleme sind oft mit Lese-Rechtschreibschwierigkeiten verknüpft. ICD-11 6A02 (World Health Organization, 2022)

Aufgabe 7

Zeichnen Sie eine Mindmap/Skizze, um einen bildlichen Überblick über die wichtigsten Komorbiditäten zu erhalten.

Richtige Antworten

Aufgabe 8 Fallbeispiele

Lesen Sie folgende Fallbeispiele, um eine praktische Schilderung der Probleme betroffener Kinder zu erhalten. Das Lesen der Fallbeispiele und die Erfahrung, die Sie dabei gewinnen, kann für Aufgabe 9 hilfreich sein.

Fallbeispiel 1

Wegen seiner schulischen Probleme erhält Matthias (12) Spezialunterricht. Seine sprachfreie Intelligenz liegt im guten Durchschnitt, aber er kann sich schlecht auf Buchstaben und Wörter konzentrieren und Lesen macht ihm keinen Spaß. Ebenso fällt es ihm schwer, eine Rechenaufgabe mit längerem Rechenweg in einem Arbeitsschritt ohne Pausen zu lösen. Bei Klassenarbeiten/Schularbeiten macht er mehr als 20 Rechtschreibfehler auf 200 Wörter. Auch Grammatiktests gehen oftmals nicht gut aus. Seit früher Kindheit leidet er an Ängsten bei Dunkelheit. Seit der Trennung der Eltern vor drei Jahren, legt er trotz geringen Selbstvertrauens ein leicht aggressives Verhalten der Mutter und dem Bruder gegenüber an den Tag. Matthias fällt in der Schule durch seine motorische Unruhe, Ungeschicktheit und eine kurze Aufmerksamkeitsspanne auf. Er ist langsam im Denken und Verstehen, besonders wenn es um abstrakte Dinge geht, und sein Gedächtnis lässt zu wünschen übrig.

Fallbeispiel 2

Die sprachfreie Intelligenz von Ralf (11) liegt im guten Durchschnitt, aber er mag Lesen und Schreiben nicht. In Klassenarbeiten macht er manchmal mehr als 30 Rechtschreibfehler auf 200 Wörter. In puncto Rechtschreibung gehört er damit nach Aussage seiner Deutschlehrerin zu den Schwächsten in seiner Klasse. Obwohl er viel übt und dabei oft recht motiviert jeden zweiten Tag 30 Minuten am Stück an der Rechtschreibung arbeitet, nehmen die Fehler nur langsam ab. Sein Therapeut erklärt ihm immer ganz ruhig, dass auch kleine Fortschritte wichtig sind und dass er es langfristig schaffen wird. Der Junge versteht Rechtschreib- und Grammatikregeln gut und kann bei diesen Tests punkten. In Mathematik hat er gute Noten und er rechnet sehr viel lieber, als er schreibt.

Richtige Antworten

Aufgabe 9

Ordnen Sie die folgenden Sätze einer oder mehrerer der angegebenen Störungsbilder/Problemlagen zu. Bitte beachten Sie aber, dass es sich hier nur um eine Übung handelt. Wenn Sie im Schulalltag vermuten, dass ein Kind größere Schwierigkeiten hat, ist der Rat von Fachpsycholog*innen einzuholen. Mehrfachnennungen sind möglich.

Richtige Antworten

Max (8 Jahre) kann sich schlecht auf Buchstaben, Silben und Wörter konzentrieren, er lehnt das Lesen ab. Wenn er seine Rechenaufgabe macht, kann er meist stillsitzen und alles richtig lösen.

Lena (10) geht nicht gerne zur Schule und erfindet manchmal Krankheiten. Das Mädchen mag Rechnen nicht und Deutsch auch nicht besonders gerne. Sie erzählt, dass sie ihre Deutschlehrerin nicht mag. Die Frage, ob sie Angst habe, verneint sie. Aber sie findet die Schule langweilig und wenn sie Hausaufgaben macht, sitzt sie oft lange teilnahmslos auf ihrem Stuhl.

Tom (11) macht viele Rechtschreibfehler. Auch das fehlerlose Abschreiben fällt ihm schwer. Bei Diktaten und im freien Schreiben sind sehr viele Fehler. Beim Lesen geht es besser, denn er versteht meistens das Gelesene. In Mathematik kommt er selten auf das richtige Ergebnis. Er verdreht oft die Zahlen und verschätzt sich oft im Zahlenraum.

Lisa (9) kann beim Lernen nicht lange still sitzen. Wenn sie aufstehen kann, kann sie sich Dinge besser merken. Bei Rechenaufgaben mit längerem Rechenweg kommt sie oft nicht weiter. Das Einmaleins beherrscht sie aber perfekt, wenn sie kurz abgefragt wird. Generell macht sie einen unruhigen Eindruck, wenn sie sich länger mit einer Thematik befassen soll.

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1.5. Häufigkeit

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1.7. Ursachen der Lese-Rechtschreibstörung

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