3.3.5 Lesen
Leseschwache Kinder machen häufig sehr viele Lesefehler, können viele Silben nicht richtig aussprechen oder ersetzen Wörter des Textes durch andere, nicht vorhandene Wörter. Außerdem haben sie oft Schwierigkeiten mit dem Lesetempo, welches sehr stark reduziert sein kann. Bei längeren Sätzen haben dann gerade Kinder mit Dyslexie oft den Satzanfang nicht mehr in ihrem phonologischen Arbeitsgedächtnis, wenn sie den Schluss des Satzes lesen. Das kann zu großen Problemen auf der Ebene des Textverständnisses führen. Dazu kommen motivationale Aspekte, da das Lesen von Betroffenen oft als sehr mühsam und anstrengend erlebt wird. Auf der Seite von deutsch.info finden sich im Lehrer*innen-Portal zahlreiche Lesemodule für unterschiedliche Altersstufen und zu den verschiedensten Themen.
Daher sind bestimmte Hilfestellungen auf verschiedenen Leseebenen für Lernende mit Dyslexie von besonderer Wichtigkeit.
Aktivierung des Vorverständnisses
Inwiefern können wir unseren Lernenden beim Lesen helfen, indem wir an das bestehende Vorwissen der Kinder anknüpfen? Im Anschluss finden Sie mögliche Vorgehensweisen, die Sie aber ergänzen und erweitern können.
Es ist wichtig, die Überschrift genau zu lesen, denn viele Lernende überspringen diese und starten sofort mit dem Text.
Aufgabe 37
Lesen Sie den folgenden Textanfang. Wie verstehen Sie ihn?
Der Verkehr auf der A2 in Österreich ist an diesem Tag besonders stark. Autos, Transporter und Motorräder sind auf den mehrspurigen Asphaltstreifen zu sehen. Würde Paul jetzt versuchen, die Straße zu überqueren, wäre er vermutlich sofort tot.
Was also soll er machen? Im Wald nimmt er jedes Hindernis und fühlt sich wohl. Die Autobahn aber ist für ihn wohl ein unüberwindbares Hindernis. Und zurück nach Norden, wo er vor anderthalb Jahren auf die Welt gekommen ist, kann er nicht.
Hier erhalten Sie den Titel der Geschichte.
Notieren Sie, wovon Sie ausgegangen sind, als Sie zu lesen begonnen haben. Welcher Effekt hat sich eingestellt, als Sie später den Titel des Textes gesehen haben?
Ein Rehbock und das große Abenteuer
Wenn man nicht weiß, dass es sich um ein Tier handelt, lassen die Sätze die Lesenden etwas ratlos zurück. Die Überschrift hat in diesem Beispiel große Bedeutung für das Leseverstehen.
Die folgende Checkliste kann den Lernenden in diesem Zusammenhang Unterstützung bieten.
Inhalt und Aufbau
- Lies die Überschrift genau!
- Worum wird es im Text gehen?
- Was weißt du zum Thema schon?
- Lies dir den Text genau durch. Wenn du etwas nicht verstanden hast, dann lies es noch einmal genauer nach.
- Finde zu jedem Absatz eine Überschrift.
Wortschatz
Zentrale Begriffe sind enorm wichtig für das Textverständnis. Deshalb sollten wesentliche Vokabeln des Textes vorab besprochen werden, denn das kann das Textverständnis enorm erleichtern. Dazu benötigen die Lernenden eine Unterstützung durch die Lehrkraft. Diese Begriffe sollten schon vorab für alle Lesenden in der jeweiligen Muttersprache klar sein.
Textbearbeitung durch die Lernenden
Arbeitsunterlagen, Übungsseiten in Büchern, Downloadmaterialien findet man in ganz unterschiedlicher Aufbereitung und Struktur. Auch auf der Seite deutsch.info sind die Unterrichtsmaterialien auf die Bedürfnisse der Kinder mit LRS angepasst. Für Kinder mit Problemen beim Lesen ist es oft wichtig, dass sie Texte genauer bearbeiten. Gewisse Hilfsmittel haben sich dabei bewährt:
- Unterstreichen
- Unterüberschriften verwenden
- Nummerierungen
- Farbcodierungen
„Mit dem Highlighter markiere ich mir lange und dichte Texte, damit mir der Text nicht verschwimmt.“
Aufgabe 38
Lesen Sie den folgenden Text über Politik. Versetzen Sie sich in die Situation ihrer Schüler*innen und bearbeiten Sie folgende Aufträge, die auch für diese hilfreich sein können.
- Welche zentralen Begriffe sollten vorab geklärt werden?
- Finden Sie für jeden Absatz eine Überschrift. Schreiben Sie diese zwischen die Zeilen.
- Unterstreichen Sie die wichtigsten Fakten. Achten Sie darauf, nicht zuviel Information zu unterstreichen. Richtwert 2-3 Informationen (Einzelwörter, Fachbegriffe, Phrasen) pro Absatz.
Wahlkampf – inwieweit ist er notwendig?
In einem Wahlkampf gibt es viele Werbeaktionen, die die Parteien vor einer Wahl durchführen, um gewählt zu werden. Jede Partei präsentiert sich von der besten Seite und verbreitet ihre politischen Programme und Überzeugungen. Mit jeder Kampagne wird versucht, die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen und das Vertrauen der Wähler*innen zu gewinnen.
Selbstverständlich müssen verschiedene Maßnahmen ergriffen werden, um möglichst viele Wähler*innen zu erreichen. Daher wird ein Wahlkampf auf verschiedenen Ebenen ausgetragen.
- Direkter Wahlkampf: Das sind öffentliche Reden, Informationsstände auf öffentlichen Plätzen oder persönliche Gespräche mit den Bürger*innen durch die Kandidat*innen.
- Wahlkampf mithilfe von klassischen Massenmedien: Wahlprogramme einer politischen Partei werden z. B. in Zeitungen oder auf Plakaten gedruckt.
- Wahlkampf mithilfe von elektronischen Massenmedien: Wahlprogramme werden in den sozialen Medien verbreitet (z. B. Facebook, Twitter, Instagram, …).
Im Wahlkampf ist nicht alles erlaubt. Zum Beispiel war es in Deutschland vor der Bundestagswahl 2017 jedes Mal erlaubnispflichtig, Wahlplakate aufzuhängen, Infostände auf öffentlichen Straßen und Plätzen aufzustellen, Wahlkampfveranstaltungen durchzuführen. Erlaubnisfrei waren kleinformatige Werbemittel, sogenannte Give-Aways (z. B. Kulis, Luftballone). In jedem Wahlkampf ist es verboten, Grundrechte Dritter zu missachten. Auch die Verwendung von Symbolen oder Zeichen verfassungswidriger Organisationen sind verboten. Ebenso müssen strafrechtliche und jugendschutzrechtliche Vorschriften beachtet werden.
Jeder weiß, dass 2016 in den USA der neue Präsident Donald Trump gewählt wurde. Natürlich gab es einen großen Kampf zwischen Donald Trump und Hillary Clinton. Es war der erste Wahlkampf, bei dem die sozialen Medien wahrscheinlich entschieden haben, wer zum Präsidenten gewählt wurde.
Donald Trump hat sich über seine Tweets immer wieder direkt an seine Anhänger gewandt und hat den Medien immer wieder neues Material geliefert. Hillary Clinton gab selten Interviews, war aber über Twitter, Facebook oder Instagram ständig mit ihren Botschaften präsent. Das war wichtig, um vor allem junge Wähler*innen zu erreichen. In den USA haben 35 Prozent der 19- bis 30-Jährigen sich ausschließlich mithilfe von sozialen Medien über den Präsidentschaftswahlkampf informiert.
Entsprechend sind die Zahlen: Bei Facebook „liken“ zwölf Millionen Nutzer die Seite von Donald Trump, acht Millionen die von Hillary Clinton. Bei Instagram folgen beiden rund 2,8 Millionen Menschen, bei Twitter kommt Clinton auf zehn Millionen, Trump auf knapp 13 Millionen.
Donald Trumps Dominanz ist damit zu erklären, dass seine Werbeagentur die Bedeutung und den Einfluss der sozialen Medien richtig eingeschätzt und die sozialen Medien auch einfallsreich genutzt hat. Wie man heute sieht, hat sich der Aufwand für ihn gelohnt.
Quelle: Übung 3.a. deutsch.info – Arbeitsheft 30 • Politik und Gesellschaft: der Wahlkampf 6.
Lesehilfen
„Beim Lesen helfe ich mir mit dem Lineal, damit mein Sichtfeld nicht so groß ist und ich nicht nachsehe, wie viel ich noch lesen muss, sondern nur das sehe, was ich gerade lese.“
Interventionsmaßnahmen, die zur Verbesserung der Lese- und Rechtschreibleistungen von Kindern und Jugendlichen mit Lese- und/oder Rechtschreibstörung eingesetzt werden, sollen Übungen zu verschiedenen Lesestrategien beinhalten. Der Einsatz von Hilfsmitteln wie Lese-Lineal soll geprüft werden.
Auch in den Bereich DaZ bzw. DaF haben Lesehilfen wie z. B. Leselineale bereits Eingang gefunden.
Zur Förderung und Unterstützung der Konzentrationsfähigkeit hat sich die folgende Technik sehr gut bewährt: Die Anfertigung eines sogenannten Textfeldfensters aus Papier für die oft unüberschaubar strukturierten und zu bunten Lehrwerke. Dieses deckt dann den Teil der Seite ab, mit dem wir uns in der Stunde nicht beschäftigen. Es funktioniert immer gut, die wichtigen Informationen in einem Text oder im Lehrbuch mit Farbstift oder Textmarker hervorzuheben. So kann die Aufmerksamkeit der Lernenden auf die wichtigen Teile des Textes oder der Aufgabe gelenkt werden.
Dabei gibt es verschiedene materielle Hilfestellungen für leseschwache Kinder. Anbei finden Sie eine Auswahl:
- Leselineal: Markiert die Zeile.
- Lesepfeil: Markiert die Zeile und deckt zusätzlich die folgenden Wörter ab.
- Lesefenster: Markiert die Zeile, deckt die direkte Umgebung ab.
- Leselupe: Vergrößert den zu lesenden Text.
Hier finden Sie außerdem zwei Bastelanleitungen für Lesehilfen.
Bastelanleitung Lesepfeil
- Die Seite auf festem Papier oder Karton ausdrucken.
- Den Lesepfeil ausschneiden.
- Mit dem eigenen Namen beschriften und lesen.
Bastelanleitung Lesefenster
- Die Seite auf festem Papier oder Karton ausdrucken.
- Das Lesefenster ausschneiden.
- Das gelb markierte Rechteck in der Mitte ausschneiden und lesen.
Aufgabe 39
Stellen Sie eines der Leselineale her und versuchen Sie, damit den Text „Rosige Zukunft“ zu lesen. Wie sind Ihre Erfahrungen?
Lesestrategien
Die Wahl der richtigen Lesestrategie kann das Leseverständnis gerade für leseschwache Lernende enorm erleichtern. Auch wenn sie nicht jedes Wort korrekt erlesen können bzw. ein stark verlangsamtes Lesetempo haben, können sie auf diese Weise zum Leseerfolg kommen.
Auch differenzierte Lesestrategien sollten sich von Dyslexie betroffene Personen aneignen. Sie sollten dazu angeregt werden, sich zuerst immer den Titel und die Untertitel des Textes anzuschauen und sich über den Inhalt des Textes Gedanken zu machen. Als nächster Schritt sollte ein erstes, überfliegendes Lesen folgen, mit dem Ziel, die Schlüsselinformationen und -wörter im Text zu finden. Erst danach sollten sich die Lernenden auch die Fragen anschauen, die sich auf den Textinhalt beziehen. Ein aufmerksames Lesen erfolgt erst nach dem Verstehen der Verständnisfragen zum Text.
In der Lesedidaktik werden Lesestrategien auf zeitlicher Ebene oft in drei Bereiche eingeteilt:
- vor dem Lesen (z. B. Vorwissen aktivieren)
- während des Lesens (z. B. Schlüsselbegriffe erkennen)
- nach dem Lesen (z. B. Zusammenfassen des Gelesenen)
Von der Art der Lesestrategie werden in der Fachliteratur häufig folgende Lesearten unterschieden.
- überfliegendes Lesen (prüfen, ob Text wichtige Information enthält)
- gezieltes Lesen
- intensives Lesen
- aktives Lesen
Überfliegendes Lesen
Bei dieser Art des Lesens überfliegen die Lesenden den Text im Schnelldurchlauf und prüfen, ob er für das Thema beziehungsweise für ihr Ziel wichtige Informationen enthält. Dabei muss nicht jedes Wort und jeder Satz gelesen werden, sondern man lässt den Blick Zeile für Zeile über den Text schweifen. Dabei werden Überschriften, Hervorhebungen und Nomen wahrgenommen. In den Nomen stecken häufig die wichtigsten Informationen, sie funktionieren oft wie Schlüsselbegriffe. Dadurch erhält man einen guten Überblick über den Text.
Gezieltes Lesen
Beim gezielten Lesen wird der Text nach bestimmten Zielbegriffen oder Informationen abgesucht. Es soll ein Überblick über den Text oder das Buch verschafft werden. Bei einem Buch ist es sinnvoll, wenn Lernende sich einen Überblick durch das Inhaltsverzeichnis, die Kapitelüberschriften oder den Klappentext verschaffen. Mit Hilfe der gefundenen Informationen kann man interessante Abschnitte aussuchen, bei denen es sich lohnt, intensiver zu lesen. Andere Passagen können vernachlässigt werden.
Intensives Lesen
Beim intensiven Lesen untersucht man einen Text vollständig auf alle Informationen. Die Informationen beziehen sich dabei natürlich auf den Inhalt, aber auch auf die Textart, den Textaufbau, den Sprachstil etc. Dabei ist es wichtig, dass in Ruhe und ganz konzentriert gelesen wird. Wenn ein Wort nicht bekannt ist und es auch nicht aus dem Zusammenhang erschlossen werden kann, ist es notwendig, das Wort nachzuschlagen. Manchmal versteht man einzelne Passagen nicht auf Anhieb, sodass es sinnvoll ist, diese Passagen mehrmals zu lesen.
Aktives Lesen
Wichtig beim aktiven Lesen ist, dass nicht nur Augen und Gehirn beschäftigt sind, sondern auch die Hand. Unterstreiche mit einem oder mehreren Textmarkern wichtige Aspekte und Schlüsselbegriffe im Text. Dabei kann es hilfreich sein, wenn man bei unterschiedlichen Arbeitsaufträgen unterschiedliche Farben verwendet. Ebenfalls ist zu empfehlen, dass der Text in Sinnabschnitte beziehungsweise in Textpassagen unterteilt wird und diesen Teilen kurze Überschriften gegeben werden. Ist der Text länger, können dir diese Überschriften helfen, die Übersicht über den Text zu behalten.
Aktives Lesen funktioniert am besten mit Textmarkierungen und Notizen.
Farbliche Hervorhebungen von Silben
Die Verwendung von farblichen Hervorhebungen von Silben hat sich vielfach in der Therapie von muttersprachlichen Schülern bewährt und kann für leseschwache Kinder generell einen großen Vorteil bedeuten.
3.3.4. Partner*innen- und Gruppenarbeiten – Vor- und Nachteile
3.3.6. Bewährte Schreibstrategien in der Muttersprache – Eine Chance auch für DaZ und DaF