2.5.2 Interferenzen aus der Orthografie der Erstsprachen
Wenn die Kinder in der Erstsprache bereits alphabetisiert wurden, kommt es – neben den Übertragungen aus deren phonologischen System – auch zu Interferenzen aus dem Schriftsystem.
Oft findet sich z. B. ein Transfer von Schriftsymbolen, die im erstsprachlichen System für den gleichen oder ähnlichen Laut wie im Deutschen stehen, z. B. Türkisch /Ş/ für Deutsch /sch/.
Alphabetschrift vs. Konsonantenschrift
In der deutschen Sprache (Alphabetschrift) werden sowohl Konsonanten als auch Vokale geschrieben. Manche Sprachen, vor allem aus der semitischen Sprachfamilie, schreiben Vokale normalerweise nicht. Fremdsprachenlernende aus diesen Erstsprachen neigen daher dazu, auch im Deutschen die Vokale auszulassen („zurck” statt „zurück”).
Phonem-Graphem-Korrespondenz
In der deutschen Sprache gibt es häufig keine 1:1 Entsprechung zwischen Laut und Buchstabe. Denn ein Buchstabe kann für verschiedene Laute stehen (z. B. die verschiedenen /e/-Laute in lebt, nett, gesund, Mutter). Umgekehrt kann ein Laut durch verschiedene Buchstaben und Buchstabenkombinationen geschrieben werden, z. B. /t/ in Tag, Thomas, Stadt, satt, Hund (siehe Asymmetrie, Kapitel 2.3.1).
Wenn nun die Erstsprache eine Orthografie hat, in der eine 1:1 Entsprechung zwischen Laut und Buchstabe vorhanden ist (z. B. Türkisch), übertragen viele Kinder diese Konvention auf die deutsche Orthografie. Dies führt oft zu Fehlern (siehe Kapitel 2.4).
Oft sind Buchstaben der Herkunftssprachen andere Laute zugeordnet, die dann ins Deutsche übertragen werden. Der Buchstabe /z/ steht in vielen Sprachen (z. B. Englisch, Türkisch) für stimmhaftes s (wie in Sonne), was zur Schreibung von Zonne führen kann. Umgekehrt wird oft der deutsche Lautwert von /z/, also /ts/ von diesen Lernenden als /ts/ in der Schrift dargestellt (tso statt Zoo).
Andere Schreibrichtung
Wenn die Erstsprache von rechts nach links geschrieben wird (z. B. Arabisch, Persisch), wirkt sich das oft im deutschen Schriftbild aus. So werden z. B. Buchstaben spiegelverkehrt geschrieben oder einige Buchstaben in ihrer Reihenfolge vertauscht.
Schriftinterferenzen und phonologische Interferenzen treten in Lerntexten gleichzeitig auf, zusätzlich zu den Orthografiefehlern, die sich aus dem Schriftspracherwerb ergeben.
Fehlerdiagnose
- Fehlerursache deutsche Orthografie
Fehler wie z. B. Groß- und Kleinschreibung können mit den gleichen Übungen „behandelt" werden, wie sie auch bei Deutsch-als-Muttersprache-Schüler*innen verwendet werden. Erst- und Zweitsprachenlernende üben auf die gleiche Weise.
- Fehler aus Schriftinterferenzen
Bei Übertragungsfehlern aus der Erstsprache hat es sich als hilfreich erwiesen, sprachkontrastiv zu arbeiten, also den Lerner*innen die Unterschiede zu verdeutlichen.
Um z.B. die Notwendigkeit der Vokalschreibung für die Verständlichkeit von deutschen Wörtern und Texten bewusst zu machen, kann ein Text vorgelegt werden, in dem alle Vokale ausgelassen wurden. Oder man präsentiert Wortpaare, die sich nur durch den Vokal unterscheiden, z. B. Hand und Hund.
- Fehler aus phonologischen Interferenzen
DaF-Lernende hören die Zweitsprache durch das „Sieb” der Erstsprache. Fehler, die auf dem Einfluss der erstsprachlichen Phonologie basieren, müssen durch ein spezifisches Phonetiktraining behandelt werden.
Wenn z. B. in der Erstsprache die Vokale /e/ und /i/ nicht unterschieden werden, können sie diese Personen weder beim Hören unterscheiden noch nachsprechen (Siekmann, 2022, https://www.xn--daz-krnten-u5a.at).
Faktor Zeit, Menge der Vokabeln, Wiederholungsschleifen
Auf den Ebenen des Zeitmanagements, der Menge des Lernstoffs und der Organisation von Wiederholungen liegt ein enormes Potential an Hilfestellungen für lese- und rechtschreibschwache Kinder.
„Ich lese neue Wörter mehrmals, schreibe sie auch mehrmals auf und dann merke ich sie mir.“
2.5.1. Interferenzen durch phonologische Eigenschaften des Deutschen, die aus der Erstsprache nicht bekannt sind
2.6. Lernende mit Dyslexie und die Zweitsprache – Begleitung des Lernprozesses