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1.8 Entwicklung im Schriftspracherwerb

Wie erlernen Kinder eigentlich das Schreiben? Diese banal klingende Frage ist durchaus relevant, wenn es um Kinder mit Lese-Rechtschreibstörung geht.

Zum Schriftspracherwerb existieren verschiedene Modelle. Ein Standardmodell geht von 3 Phasen aus, die sich allerdings meistens überlappen.

Das Training geht von einer allmählichen, stufenweisen Entwicklung des Kindes im Schriftspracherwerb aus (siehe unten).

Der Lernprozess lässt sich verschiedenen Entwicklungsstufen zuordnen. Die Analyse der Verschriftlichung ermöglicht die Zuordnung zu einer dieser Stufen. Die Zuordnung kann für die Förderplanung hilfreich sein.

Zunächst erfolgt der Schriftspracherwerb nicht voraussetzungslos. D. h., es gibt Vorläuferfertigkeiten, die das Erlernen der Schriftsprache erst ermöglichen. Kinder erkennen Reime und Silben bzw. können ihre Aufmerksamkeit auf die Lautstruktur der Sprache richten (phonologische Bewusstheit). Ebenso beinhalten alle Modelle eine alphabetische Phase, das heißt vereinfacht gesagt, dass Lernende in dieser Phase alles so schreiben, wie sie es hören. Dies reicht aber nicht aus, um orthografisch korrekt zu schreiben und führt im weiteren Verlauf zu Fehlern und bei Kindern mit Lese-Rechtschreibstörung werden die Fehlerzahlen sehr groß. Darauf folgt eine orthographisch-morphematische Phase. Die orthographische Phase beinhaltet Rechtschreibregeln und Rechtschreibmuster, die morphematische Phase arbeitet etwa nach dem Prinzip des Wortstamms. „Wäsche” wird etwa mit ä geschrieben, da es von „waschen” kommt. Die folgende Skizze stellt diese Phasen überblicksmäßig dar.

Stufenaufbau im Schriftspracherwerb

© Abbildung 8: Phasen im Schriftspracherwerb, Reinhard Kargl

Symptomspezifische Trainings

In der Tradition des Legasthenietrainings gibt es Trainingsansätze, deren Wirksamkeit nicht nachgewiesen ist. Dazu gehören etwa das Lesen mit speziellen Brillen, Raumlage- oder Serialitätstrainings.

Das Training für Betroffene sollte gleichsam dort ansetzen, wo die Probleme liegen, das heißt am Lesen und Rechtschreiben, an Buchstaben, Silben, Morphemen und Wörtern.

Die Leitlinien definieren symptomspezifische Trainings so:

Unter symptomorientierten Interventionen werden Trainingsmethoden verstanden, die an der verminderten Lese- und/oder Rechtschreibleistung ansetzen und Prozesse, die mit dem Erwerb dieser Fertigkeiten direkt verbunden sind, trainieren. Durch eine direkte Förderung der Lese- und/oder Rechtschreibfähigkeit und der hiermit assoziierten Prozesse soll eine Leistungsverbesserung im Lesen und/oder Rechtschreiben und damit eine Symptomreduktion der Lese- und Rechtschreibstörung bewirkt werden.

(Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie, 2018)

Empfohlene Übungsformen sind etwa:

  • Übungen zur Graphem-Phonem und Phonem-Graphem-Korrespondenz
  • Übungen zum Segmentieren einzelner Wörter in ihre Phoneme, Morpheme, Silben
  • Onset- und Silbenreim-Übungen
  • Verbinden von Phonemen zu einem Wort
  • Übungen zum Aufbau orthografischen Regelwissens

Ausführliche Informationen dazu finden Sie in Kapitel 3.

Legasthenie im Erwachsenenalter

Legasthenie im Erwachsenenalter

Probleme im Zusammenhang mit Lese-Rechtschreibstörung wachsen sich nicht aus. Ein gezieltes Training kann zu starken Verbesserungen führen, oft persistieren die Schwächen aber bis ins Erwachsenenalter.

Reflexion 5

In Ihrer Unterrichtspraxis werden Sie möglicherweise auch mit erwachsenen Dyslektiker*innen zu tun haben. Überlegen Sie, ob Sie erwachsene Personen in Ihrem Umfeld kennen, die mit Lesen und/oder Schreiben große Schwierigkeiten haben. Was äußern diese Personen zu ihren Problemen? Welche Bildungsabschlüsse haben diese Menschen? Notieren Sie Ihre Erfahrungen.

Richtige Antworten

Viele erwachsene Betroffene entwickeln auch starke Schamgefühle. So kann es vorkommen, dass eine Person bei einem Amtsweg ein Formular lesen muss. Sie kann dies aufgrund ihrer Leseschwäche nicht bewältigen. Sie wählt den Ausweg, am Schalter zu äußern, sie habe die Brille vergessen, um die Leseschwäche nicht zugeben zu müssen.

Reflexion 6

Überlegen Sie, in welchen Situationen eine Lese-Rechtschreibstörung für erwachsene Personen besonders problematisch und auch schambesetzt sein könnte. Notieren Sie Ihre Überlegungen.

Richtige Antworten

Die folgenden Punkte sollten Sie beachten, wenn es um das Themenfeld Erwachsene und Lese-Rechtschreibstörung geht.

  • Die Probleme, die aus einer Lese-Rechtschreibstörung hervorgehen, verschwinden nicht mit zunehmendem Lebensalter,
  • Die Durchführung von Trainings zur Verbesserung der Lese- und Rechtschreibleistungen ist auch im Erwachsenenalter möglich.
  • Erwachsene können oft besonders gut mit digitalen Hilfsmitteln (Apps, Wörterbüchern) arbeiten.
  • Unterschätzen Sie nicht die psychologische Komponente. Erwachsene schämen sich oft für ihr Problem und leiden unter geringem Selbstwertgefühl.
  • In vielen Ländern gibt es Landesverbände zum Thema Lese-Rechtschreibstörung bzw. andere Institutionen, etwa Abteilungen im Bildungsministerium, die Information und Hilfestellung anbieten.

„Ich spreche nicht darüber, außer es fragt mich jemand.“

Schülerzitat
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